Eine Prise Brauchtum und viele Kunstgriffe

Anfang September postet der Filmemacher Claus Elßmann ein Video über das Tegernseer Tal mit dem Titel „Kampf um den Tegernsee – Reichtum frisst Brauchtum“. In den Tagen darauf geht das Video viral.

Von: Julia Jäckel| Veröffentlicht am 11. September 2025

Alte deutsche Musiker spielen auf dem Tegernsee, traditionelle Blasmusik im malerischen Alpenpanorama.
Claus Elßmann bläst dem Tal den Marsch. Symbolfoto vom Seefest 2025. Foto: Julia Jäckel

Euphorisch füllen sich die Kommentarspalten des Internets unterhalb des schulstundenlangen Clips. Die Kommentare? „Vergelts Gott“ oder „endlich moi a saubas Video vo unsara Hoamad“ bis hin zu Tegernsee sei das „Kotzbühl Bayerns“ (Sic!).

Vereinzelt gibt’s auch Kritik: „die Szenen mit den Botox Fratzen und dem Champagner-Preysing sind schon sehr provozierend gemacht“ oder „Da kommt ein Münchner und dreht einen Film, der sich von Neid ernährt“ sprechen für sich.

Wo Doku draufsteht ist nicht immer Doku drin

Eine Doku will der Film sein, heißt doch der zugehörige Youtube-Kanal so. Aber gilt das als Dokumentarfilm? Eine Doku zeichnet sich durch sorgfältige Recherche aus, braucht viel Zeit und geht maximal in die Tiefe. Click-Bait hingegen geht vom Hirn direkt ins Herz.

Das ist Elßmann hervorragend gelungen und viel Zeit hat er auch nicht gebraucht. Im August fragt er nach Willigen im Tal. Robert Kühn (SPD-Bürgermeister von Bad Wiessee) und Thomas Tomaschek (Grüner Gemeinderat Rottach-Egern und Landratskandidat) stehen politisch gesehen im Zentrum der Erzählung.

Dass Elßmann keine lange Doku-Biografie vorlegen kann, sondern einst Nebenrollen im „Sturm der Liebe“ oder „Forsthaus Falkenau“ spielte, wird schnell zur Nebensache.

Geschickt rührt Elßmann in den Widersprüchen des Lebens im Tegernseer Tal. Hier die „künstliche“ Schicki-Mickeria beim Feiern auf Gut Kaltenbrunn, dort das „natürliche“Brauchtum. Hier der glitzernde Tegernsee, dort der prickelnde Champagner für 300.000 Euro.

Elßmann spielt den Klassiker: Wir gegen die Anderen

Das Brauchtum sitzt auf der Bierbank am Waldfest. Junge fesche Männer aus dem Trachtenverein. Sie stehen für das Ursprüngliche, das heile Tegernseer Tal, und sie haben eine Meinung.

Etwa zur Erbschaftssteuer, zu den Luxus-Sausen in der Fischerei Preysing und zum Brauchtum, „Bei uns dahoam wird boarisch g’red“, redet ein Nachwuchstrachtler und dass sich hier keiner mehr ein Grundstück leisten könne, wegen der Erbschaftssteuer und beklagt, „grad bei der Jugendarbeit werden es immer weniger Einheimische und es kemmen wenig Junge nach“.

Aber wer darf sich überhaupt einheimisch nennen? Reicht es, wenn man eine halbe Generation im Tegernseer Tal nachweisen kann oder bei den Gebirgsschützen mit dem Theatergewehr marschiert?

Und könnte der Nachwuchsmangel auch mit der Sturheit der Tradition zusammenhängen, etwa dass Mädchen mit kurzen Haaren eine Haarverlängerung für die Aufführungen des Trachtenvereins brauchen?

Das Zugroasten sind schuld

Gerne möchte man die Lederhosen-Buben fragen, wen sie bei den Kommunalwahlen 2026 zu wählen gedenken. Aber da führt uns der Clip wieder nach Kaltenbrunn und filmt erneut einer Frau gnadenlos ins Dekolleté. Eine öde sexistische Unnötigkeit, dass Elßmann Frauen nur über ihr Aussehen bzw. das ihrer Tracht reden lässt.

Und dann ist da noch die Kuh im Raum: Denn nichts davon, was Elßmann pointiert und überspitzt zum Besten gibt, ist neu oder überraschend.

So haben die Entwicklungen im Tegernseer Tal weniger mit einer operierten Busserl-Gesellschaft zu tun als vielmehr damit, dass die Lokalpolitik den Großbau-Träumen der Investoren und ihren Fans hier über viele Jahre Tür und Tor geöffnet hat.

Dann lieber ein mit Prickelbrause bewaffnetes Feindbild in Samt und Seide: die Reichen aus Minga oder wahlweise Düsseldorf sind schuld an der Geld-Irrsinnsspirale im Tegernseer Tal.

Am Ende hat Elßmann sein Ziel erreicht: Er liefert ein Feindbild, auf das sich alle einigen können – und lässt die eigentlichen Fragen offen.

Übrigens: Dem Filmemacher eine Anzeige auf den Hals zu jagen, zeugt nicht von Größe, sondern schürt genau diesen holzschnittartig aufgebauschten Konflikt.