Gams weit oben

Die Gams: Sinnbild alpiner Wildheit? Wo wir sportliche Freiheit suchen, kämpft sie ums Überleben. Wer im Winter durch ihre Lebensräume streift, hinterlässt mehr Spuren, als uns bewusst ist.

Von: Yvonne Aschoff | Veröffentlicht am 3. November 2025

Da schaust. Foto: Stefan Schweihofer

Im Tegernseer Land gehört die Gams fast so selbstverständlich zum ideal-romantischen Bild wie Reh und Rotwild, ist jedoch viel seltener vertreten und deshalb noch sensibler zu behandeln.

Als bestens angepasste Bergbewohnerin, bewegt sich die Gams am liebsten an der Baumgrenze, wo saftige Almmatten Nahrung liefern und lichte Bergwälder, steile Kare und Felshänge Schutz bieten. Ihre Schalenhufe – außen hart wie Stahl, innen mit weichem, rutschfestem Polster – machen sie zu unübertroffenen Kletterkünstlern, die auch in der fast Senkrechten oder im Eis sicheren Halt finden.

Der satte Sommer ist vorbei. In sogenannten Scharen haben sie ihn verbracht – meist Geißen mit Kitzen und Jährlingen –, während die Böcke lieber einzeln oder in lockeren Männergruppen unterwegs sind.

Kräuter, Gräser und Alpenblumen haben sie gut genährt – Feinschmecker sind sie, wie die menschlichen Gourmetjäger unten am See. Während allerdings unsere Speisekarten jetzt deftiger werden, beginnt für die Gams die Fastenzeit, die mit der Brunftzeit zusammenfällt: Böcke liefern sich noch heftige Auseinandersetzungen, Kräfte zehrende Unruhe treibt durch die Rudel, bis alle restlichen Ressourcen unbedingt für den Winter aufgespart werden müssen.

Schnee und Kälte

Wenn Schnee und Kälte einziehen, sucht die Gams südexponierte Lagen, wo noch spärliche Halme oder Knospen zugänglich bleiben. Doch dieses Minimalangebot an Nahrung ändert nichts daran, dass der Winter für sie eine Zeit größter Entbehrung ist: Und wenn Nahrung knapp ist, addiert sich jede Flucht auf ein lebensbedrohliches Schwächekonto.

Wenn wir Schneeschuhwanderer, Skitourengeher und Winterwanderer die Stille suchend durch ihren Lebensraum ziehen, zieht sich die Gams notgedrungen weit oben in Felsnischen und Lawinenrinnen zurück, wo sie für den Moment Ruhe findet, bis wir unsere Instagram-Fotos gemacht und uns das High-Five gegeben haben.


Wo für uns die Berge Bühne des sportlichen Ausgleichs sind, versuchen Wildtiere den Winter zu überstehen. Das macht auch die Gams zu einem bescheidenen Gradmesser dafür, wie bewusst wir mit jener ‚unberührten Natur‘ umgehen, die wir so gern für unseren Fun nutzen.

Unberührte Natur beginnt aber da, wo wir aufhören, Spuren zu hinterlassen.