Jugendhilfeausschuss – Betreuungskrise im Landkreis?
Am Mittwoch tagte der Ausschuss für Jugendhilfe: Unter anderem geht es da um den Haushalt, also wie viel Geld da ist, um Familien und Kinder im Landkreis Miesbach bei Problemen zu unterstützen. Aber eigentlich geht es um Grundsätzliches.
Von: Julia Jäckel| Veröffentlicht am 3. Oktober 2025
Landrat Olaf von Löwis ist gut gelaunt, als er an diesem Mittwoch in Miesbach zum Pressetisch nickt: Vier Menschen quetschen sich heute hinter die Bank. Das ist eine „Premiere“ sagt von Löwis.
25.000 jungen Menschen im Alter bis 27 Jahren leben im Landkreis Miesbach. Ob ihre Wünsche und Bedürfnisse Gehör finden, hängt maßgeblich von der Arbeit dieses Gremiums ab. Denn hier sitzen politische Vertreter aus dem Kreistag und Fachpersonal aus der Jugendhilfe.
Doch ausgerechnet die Fachleute fehlen am Mittwoch: Keiner da vom Amtsgericht Miesbach, keine Gleichstellungsbeauftragte, keine Lerntherapeutin, keine Vertreterin aus einer Schule. Dafür zwei Nachwuchsjournalisten vom Miesbacher Merkur.
Selbsthilfegruppe zu ADHS und Autismus
Oliver Sahnwaldt ist heute als Zuhörer dabei. Er hat im Sommer 2024 die Selbsthilfegruppe Systemsprenger in Miesbach gegründet. Sie richtet sich an Eltern mit neurodivergenten Kindern.
Da sind Kinder, die mit Autismus, ADHS oder beidem diagnostiziert wurden. Dass er damit in eine Lücke springt, zeigt der Zuwachs, den die Gruppe in kürzester Zeit, hingelegt hat: Begleitete er am Anfang zwei Familien, sind jetzt 75 Familien in der Gruppe. Darunter Väter und Mütter aus anderen Landkreisen, sogar aus München und Umgebung.
Sahnwaldt organisiert die monatlichen Selbsthilfetreffen. Er berät, wenn es um Fragen von Diagnostik, um Elterntrainings oder um die Beantragung eines Pflegegrads geht. All das macht der Vater von vier Kindern aus Überzeugung.
In anderen Landkreisen, etwa in Rosenheim oder Bad Tölz übernimmt ein sogenannter Verfahrenslotse vom Jugendamt das, was Sahnwaldt ehrenamtlich macht.
Daten und Zukunftsprognosen
Josef Stecher von der Jugendhilfeplanung Miesbach referiert über die Wachstumsprognosen des Landkreises. Sorgen macht ihm vor allem der Betreuungsbedarf bei den unter Dreijährigen und den Grundschulkindern. Denn während in den nächsten fünf Jahren die drei- bis sechsjährigen weniger Betreuung brauchen werden, droht in Sachen Ganztagesbetreuung, die ab 2026 für die Kommunen verpflichtend wird, der große Knall.
Problemkind Ganztagesbetreuung
Schon jetzt ist die Betreuungsquote im Landkreis für Schulkinder verschwindend gering. Um die 80 Prozent der Kinder im Landkreis haben keine Nachmittagsbetreuung. Anders ausgedrückt: Von rund 3.700 Grundschulkindern im Landkreis haben aktuell nur 17 Prozent einen Hort- oder Tagespflegeplatz. Mit der Ganztagsgarantie ab 2026 droht eine massive Betreuungslücke.
So ist es nicht weiter verwunderlich, dass Georg Kittenrainer (CSU) dazu sagt, „das wird nicht umsetzbar“ und dass es ein „paradoxes Unterfangen sei, das in der Geschwindigkeit umzusetzen.“ Plus: Der Gesetzgeber stellt sich vor, dass die Hausaufgabenbetreuung nicht in den Schulgebäuden stattfinden soll. Für Kittenrainer ein Ding der Unmöglichkeit.
Besonders wackelig ist auch die „Ferienbetreuung“. Elisabeth Dasch (SPD) berichtet dazu aus dem Unterausschuss Jugendhilfe und stellt die Frage in die Runde:“ Reicht dazu ein Sportprogramm von 10.00 Uhr bis 14.00 Uhr am Vormittag?“
Kinder mit Förderbedarf fallen runter
Sahnwaldt ist mit in den Ausschuss gekommen, um sich ein Bild von der Arbeit zu machen. Schließlich erlebt er jeden Tag, mit welchen Bedürfnissen die Eltern auf ihn zukommen. In der Selbsthilfegruppe finden sie einen geschützten Raum. Das, was er im Ausschuss hört, macht ihn betroffen.
Wenn es schon bei den „normalen“ Kindern nicht klappt, wie soll es dann erst mit Kindern gehen, die besonders sind?
„Kinder mit Förderbedarf sind aktuell nicht mitgedacht“, so Sahnwaldt. So haben zwar Kinder, die in einer Heilpädagogischen Einrichtung untergebracht sind, eine Ferienbetreuung. Einen Rechtsanspruch gibt es jedoch nicht.
Und genau da sehen die Zahlen bescheiden aus: Von 35 Plätzen sind sie auf 13 Plätze geschrumpft. „Der Bedarf ist weit höher,“ so Sahnwaldt weiter und verweist auf die drei Einrichtungen im Landkreis: kleiner Leuchtturm in Irschenberg, die Villa Kunterbunt in Hausham und der Fuchsbau in Holzkirchen. „Das reicht nicht.“
Beschwerden?
Zum Schluss geht es noch um das Beschwerdemanagement im Jugendamt. Gremienmitglieder werden bei Beschwerden oft nur cc gesetzt, erfahren dann aber nicht, wie es weitergeht. Jugendamtschef, Robert Wein, findet klare Worte: „Sämtliche Beschwerden werden in Hinsicht auf das Kindeswohl diskutiert. Das ist meine erste Priorität, da schaue ich genau hin.“
Doch Kritik am Jugendamt Miesbach bleibt: Während andere Landkreise wie Rosenheim oder Bad Tölz-Wolfratshausen mit Verfahrenslotsen Eltern unterstützen, fehlt diese Stelle in Miesbach. Auch eine Fachstelle für psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen gibt es nicht.