Zwischen Stillstand und Spekulation: Das Almdorf
Seit über zehn Jahren wird oberhalb von Tegernsee ein Luxusprojekt geplant – das „Almdorf“. Luxuriöse Fünf-Sterne-Stubn sollen hier entstehen. Doch statt Glamour regiert der Kies. Die beiden Bauentwickler sind dennoch überzeugt.
Oberhalb über dem Tegernsee – kurz vorm Wanderparkplatz in der Neureuthstraße – wird seit zehn Jahren ein Premium-Dorf auf 4.500 m² geplant: das Almdorf. Ein Arbeitstitel ist das, erzählt Bauherr Rainer Leidecker von der Ernst-Tengelmann Projektentwicklungs GmbH, die das Bauprojekt plant.
Neun Chalets mit 64 Betten, ein Hof mit Gastronomie und ein Badehaus sollen hier entstehen. So steht es in der aktuellen und zweiten Tektur, die das Landratsamt Miesbach am Montag vor einer Woche – nach eineinhalb Jahren Wartezeit – abgesegnet hat. „Wir haben uns gefreut, dass wir sie vorgelegt bekommen haben, das ist jetzt ein guter Meilenstein für weitere Gespräche mit Investoren“ versichert Leidecker.
Doch so richtig glaubt niemand mehr an die Verwirklichung. Sogar die Stadt Tegernsee, die das Bauprojekt 2015 auf den Weg gebracht hat, ist im vergangenen Sommer der Geduldsfaden gerissen. Einstimmig votiert der Stadtrat gegen eine weitere Verlängerung der Baugenehmigung, die Ende August erloschen wäre. Damit wäre das Almdorf Geschichte.
Doch es kommt anders. Der Bauherr rollt rechtzeitig vor Fristende mit Schaufelbaggern und Kipplastern den Berg hinauf. Das Landratsamt bestätigt nach Vor-Ort-Kontrolle erneut den Baubeginn und das Almdorf geht in die nächste Runde.
Weitere Projekte der Entwickler
Leidecker und Tengelmann haben eine lange To-Do-Liste: Etwa die Seeperle, eine unrühmliche Geschichte für Rottach-Egern. Immerhin lag hier 40 Jahre ein prominentes Seegrundstück brach. Darauf zwei Gebäude mit Ladenzeile im Erdgeschoss, aber in die ca. 40 Wohnungen darüber zog nie jemand ein. 2015 kaufen Leidecker und Tengelmann die Seeperle und entwickeln sie.
Sie planen, holen Genehmigungen ein und führen Gespräche mit der Gemeinde und potenziellen Geldgebern. Ein Job, der nichts mehr mit dem popeligen Immobilienhändler von gestern zu tun hat. Überzeugen können sie schließlich die Zech-Group, die für hochambitionierte Immobilienprojekte steht.
Seit Januar 2023 versucht die Zech-Group in Rottach-Egern ein weiteres Severin’s Hotel hochzuziehen. Doch der Boden bockt. Bis jetzt hinderte ein Wasserproblem die Aufnahme klassischer Bautätigkeiten (etwa das Ausheben einer Baugrube für eine zweigeschossige Tiefgarage). Nicht verwunderlich. Das Baugrundstück liegt im Hochwassergebiet. Unterirdisch sollen hier auch Gebirgsbäche fließen.
Ein weiteres Filetstück in ihrem Portfolio? Die Hirschbergstraße in Bad Wiessee, ebenfalls unweit vom Seeufer. Hier träumte einst Til Schweiger von einem weiteren Barefoot-Hotel. Zusammen mit der Arcona-Hotel-Gruppe wollte Schweiger im November 2021 hier seine Vorstellung eines naturnahen und „lässigen“ Luxushotels realisieren. Doch daraus wurde nichts, die Entwickler zogen die Reißleine.
Chronik Almdorf und der Weg dahin
Und eben das Almdorf: 2012 kamen die ersten Ideen, 2015 stimmte der Tegernseer Stadtrat erstmals für die Luxus-Chalets. Ein Jahr später genehmigte das Landratsamt Miesbach den Bau. 2019 wird der ehemalige Berggasthof Bergschwalbe abgerissen.
„Dann kam Corona und zwei Jahre später explodierten die Baukosten. Stahl, Beton und Holz verdoppelten bzw. verdreifachten sich im Preis. An eine wirtschaftlich sinnvolle Umsetzung war nicht zu denken„, verteidigt Leidecker die lange Zeit und ergänzt: „Nach Corona hat sich das Gästeverhalten verändert, wir haben dies in unserer Tekturplanung aufgenommen und eingearbeitet.“
Offiziell sind damit erst zehn Jahre Planungsphase vergangen. Doch bereits im Vorhinein wurde der Weg für Spaten, Bagger und Baupläne geebnet.
Ökologische Bedenken und der Landschaftsschutz
So wurde bereits fünf Jahre vorher – im Jahre 2010 – 4.500 m² aus dem Landschaftsschutzgebiet entnommen. Trotz Bedenken von Umwelt- und Naturschutzbehörden und der Tegernseer Schutzgemeinschaft (SGT).
Der SPD-Landrat Anton Bauer hat in den 50er Jahren die Vereinbarung zum Wohle des Natur- und vor allem Landschaftsschutz über das Tegernseer Tal gestülpt – um den Bauboom zu bremsen. Denn zwischen 1946 und 1953 verdreifachten sich die Bauvorhaben im Tegernseer Tal.
Auch jetzt bewegt das Thema die Lokalpolitik. Wurden doch die Landschaftsschutzgebiete mit dem ersten Urteil im Sommer 2022 zur Saurüsselalm für nichtig erklärt und beschäftigen seitdem das Landratsamt Miesbach und die Gemeinden. Lokalpolitik und viele Landwirte lehnen die Vereinbarung ab, Naturschutzverbände und Engagierte hingegen pochen auf den Erhalt.
Geologie und Starkregen
Zudem ist das Gebiet geologisch anspruchsvoll, zum Teil riskant: Ob es um die Standfestigkeit des Bodens Richtung Jägergraben oder die Frage, wie viel Wasser hier versickern kann. Im Bayern Atlas ist das Baugebiet in einem müden Senfgelb markiert, das entspricht einem mittleren Versickerungswert. Die Versickerungsfähigkeit eines Bodens entscheidet darüber, wie viel Regenwasser aufgenommen werden kann – gerade bei Starkregen ist das entscheidend, um Überflutungen und Hangrutsche zu vermeiden.
Das Baugebiet liegt zwar nicht in einer offiziell ausgewiesenen Rutschzone, doch darunter kann es instabil werden. Wo Böden versiegelt werden, die bislang Wasser aufnehmen konnten, wird dieses verdrängt – eine Sorge, die schon 2013 den SPD-Stadtrat Thomas Mandl und die SGT veranlasste, Unterschriften gegen das Almdorf zu sammeln. Erfolglos.
Premiumdestination Tegernsee mit Beigeschmack
Steht das Almdorf damit beispielhaft für den Investorendruck und die Entwicklungen im Tegernseer Tal? Einerseits wollen Politik und Investoren die Premium-Destination Tegernsee weiterentwickeln. Andererseits wächst die Skepsis unter den Menschen, die hier leben. Luxusbauten in Millionenhöhe sind von der Lebensrealität vieler Einheimischer weit entfernt. Und die Frage stellt sich immer öfter: Wie viele Luxushotels verträgt das Tegernseer Tal?
Nicht nur Einheimische, auch langjährige Gäste sehen die Entwicklung kritisch. Etwa das Ehepaar aus Frankfurt, das sehr aufrecht unter den Discokugeln im Kramerladen in Rottach-Egern sitzt und Kaffee trinkt. Seit 16 Jahren urlauben sie entweder in Rottach-Egern oder in Bad Wiessee. Sie ärgern sich über die steigenden Preise in der Hotellerie und fürchten den Verlust gewachsener Traditionen:“Das Tal befindet sich in einer Negativspirale und zerstört sich zunehmend selbst“, so die Frau.
Atem anhalten und gewinnen
Grundstücke am Tegernsee steigen im Wert – erstmal unabhängig davon, ob da was draufgebaut wird oder nicht. Das Almdorf wird damit auch zu einem Prüfstein für die Wirksamkeit politischer Instrumente, für die Bereitschaft zur nachhaltigen Planung sowie für den Umgang mit Investoreninteressen. Auch deswegen ist es wichtig, die kritische Frage zu stellen, ob mehr als symbolisch gegraben wurde?
„Die erfolgten Erdarbeiten wurden letztes Jahr seitens des Landratsamtes als Baubeginn anerkannt“, schreibt das Landratsamt Miesbach auf unsere Frage, ob sie – trotz fehlender Baugrube – an ihrer Einschätzung festhalten. Auch Leidecker betont, dass da vieles in der Erde passiert sei, was jetzt nicht sichtbar sei. Konkret wird er nicht.
Sorgen über fehlende Betreiber und Geldgeber hört man bei den beiden Geschäftsfreunden nicht. Im Gegenteil, „wir sind mit erfolgreichen Unternehmern im Gespräch, die Freude und Leidenschaft haben und das Hotelinvestment als sinnvoll erachten.“ Auch dass sie jetzt nur noch drei Jahre Zeit haben, das Chalet-Dorf fertigzustellen, sehen sie zuversichtlich.
Vielleicht ist das die Zuversicht derjenigen, die alle Verwaltungsschleifen kennen – und darauf vertrauen können, dass währenddessen die Bodenpreise wachsen.
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